Ziel der Entwicklung

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Beheizte untere Formteilaufnahme mit Abschirmblechen und eingelegtem Formteil

Die Motivation für das Forschungsprojekt ist das Infrarotschweißen von größeren Formteilen aus technischen Kunststoffen wie Polyamiden. Werden Polyamide mit Glasfasergehalt eingesetzt, kommt es zu einer Streuung der Infrarot-Strahlung, wobei die optische Eindringtiefe mit zunehmender Glasfaserkonzentration abnimmt. Auch Füllstoffe wie Ruß werden häufig eingesetzt. Sie diversifizieren das Absorptionsverhalten der Kunststoffe zusätzlich, insbesondere technischer Ruß begrenzt die optische Eindringtiefe bereits ab einem Gehalt von 0,1 Gew.-% auf ca. 100 µm. Bei einem Rußgehalt von einem Prozent liegt die Eindringtiefe bereits nahe bei Null. Liegt der Rußgehalt deutlich über einem Prozent, wird folglich keine Infrarot-Strahlung mehr in den Kunststoff eindringen können, demzufolge wird annähernd die gesamte auf der Oberfläche auftreffende Strahlung an der Oberfläche absorbiert. Dies führt zu einer raschen Erwärmung der Oberfläche auf Schmelzetemperatur. Da keine IR-Strahlung mehr in das Kunststoffteil eindringen kann, wird die Dicke der sich bildenden Schmelzeschicht ausschließlich durch die von der Oberfläche in die Tiefe des Formteils stattfindende Wärmeleitung bestimmt. Zu dem Zeitpunkt des Erreichens der Schmelzetemperatur an der Oberfläche liegt die Schmelzeschichtdicke noch bei nahe Null, weil erst jetzt aufgrund der Wärmeleitung die Temperatur in nahen Bereichen unterhalb der Oberfläche in Richtung Schmelzetemperatur weiter ansteigen und sich eine Schmelzeschicht bilden kann. Allerdings steigt die Oberflächentemperatur weiter an und nähert sich sehr schnell der Zersetzungstemperatur des Kunststoffes. Es kommt zu einer thermischen Degradation und damit verbunden zu geringen Schweißnahtfestigkeiten. Dieser Effekt begrenzt die mögliche Anwärmzeit am Infrarotstrahler, es sind nur geringe Schmelzeschichtdicken erreichbar.
Bei Polyamiden ist die Schmelzetemperatur sehr hoch (zum Teil 300 °C und höher). Die Temperaturdifferenz zur kalten Umgebung ist damit sehr groß. In Verbindung mit der geringen erreichbaren Schmelzeschichtdicke ergibt sich bei der Umstellzeit, in welcher die Infrarotstrahler weggefahren werden und die Bauteile gefügt werden können, eine sehr schnelle Abkühlung vor allem an der Oberfläche der Schmelzeschicht, es beginnt sich eine „kalte“ Haut zu bilden, die beim nachfolgenden Fügevorgang dazu führt, dass die beiden Schmelzen nur noch aufeinander liegen und sich nicht mehr richtig durchdringen. Dieser Vorgang führt dann folgerichtig zu stark verminderten Schweißnahtfestigkeiten. Damit spielt die Umstellzeit eine entscheidende Rolle für die erreichbaren Schweißnahtfestigkeiten. Anstrebenswert sind grundsätzlich Umstellzeiten kleiner 3 s, da in dieser kurzen Zeit sich in der Regel noch keine „kalte“ Haut bilden kann. In der Praxis liegen die Umstellzeiten jedoch maschinenbedingt beim Infrarotschweißen (je nach Formteilgröße) meist bei 4 s und höher, und sind umso größer, je größer die zu bewegende Masse des Fahrschlittens mit den Infrarotstrahlern ist und je größer die Bauteile sind (Länge des Verfahrweges). Bei Umstellzeiten größer 4 s wird das technologische Fenster bereits so klein, dass schon kleinste Umwelteinflüsse wie beispielsweise sporadisch auftretende Zugluft zu einem drastischen Abfall der Schweißnahtfestigkeit führen können. Ab einer Umstellzeit von 5 s wird ein Schweißen von größeren Formteilen aus Polyamiden dadurch zumeist unmöglich.

Vorteile und Lösungen

Da die langen Umstellzeiten bei großen bewegten Massen technisch kaum zu verringern sind, war der Lösungsansatz, den innerhalb der Umstellzeit auftretenden Abkühlvorgang an der Schmelzeoberfläche positiv zu beeinflussen.
Dies gelingt im Wesentlichen durch zwei technisch-technologische Maßnahmen:
1. Beeinflussung der Luftströmungen im Bereich der Anwärmzonen der Formteile
Durch die Einwirkung der IR-Strahler wird die Luft direkt an der Fügezone der Formteile stark erwärmt. Die Temperaturdifferenz zwischen kalter Luft in der Umgebung und der stark erwärmten Luft in unmittelbarer Nähe der Fügezone führt zu Luftströmungen und Luftturbulenzen, die kalte Luft an die erwärmten Fügeflächen heranführen und diese rasch abkühlen. Während des Umstellvorganges bildet sich so schnell eine „kalte“ Haut. Dieser Effekt wird zusätzlich verstärkt durch starke Luftströmungen in einer Halle, in welcher die IR-Schweißmaschine steht. So kann ein plötzlich geöffnetes Hallentor dazu führen, dass in dem Moment der Arbeitspunkt beim IR-Schweißen so verschoben wird, dass keine oder nur eine sehr schlechte Schweißung erfolgt.
Eine Verringerung der Luftturbulenzen und Luftströmungen kann erreicht werden, indem der betroffene Luftraum durch Bleche verschlossen wird oder umlaufende Abrisskanten angeordnet werden, die einen Luftaustausch zwischen warmer und kalter Luft verhindern. Diese konstruktiven Maßnahmen wurden im Projekt umgesetzt und praktisch erprobt.
2. Entwicklung und Einsatz von beheizbaren Formteilaufnahmen
Die gezielt erwärmten Oberflächen der Formteilaufnahmen führen dazu, dass die Luft im Schweißnahtbereich zusätzlich erwärmt wird und sich ein stabiles warmes Luftpolster ausbildet. Je wärmer dieses Luftpolster ist, je geringer ist der Abkühleffekt an der Schweißnahtoberfläche, weil die Temperaturdifferenz zwischen Schweißnahtoberfläche und umgebender Luft stark verringert wird. Zusätzlich wird während des Anwärmens durch die IR-Strahler zusätzliche Wärmeenergie mittels Wärmeleitung von der beheizten Formteilaufnahme in das dort eingelegte Formteil eingebracht. Für die Versuche wurden kalte Formteile in die beheizten Formteilaufnahmen eingelegt und der Schweißvorgang gestartet.
Ergebnisse
Bei Formteilen aus PA6.6 GF 30 mit einem Rußgehalt von 2,62 Prozent konnte unter „normalen“ Bedingungen (kalte Formteilaufnahmen) aufgrund des hohen Ruß- und Glasfasergehaltes selbst bei einer Umstellzeit von nur 2 s ein Festigkeitsmaximalwert von nur zirka 32 MPa erreicht werden. Bis zu einer Umstellzeit von 4 s konnten noch Festigkeitswerte in Höhe von ca. 16 MPa und bei 5 s noch ca. 5 MPa erreicht werden. Mit temperierten Formteilaufnahmen konnten durchweg deutlich höhere Festigkeitswerte erreicht werden. Sie liegen bei einer Umstellzeit von 2 s bei ca. 55 MPa. Bei einer Umstellzeit von 4 s konnten mit ca. 38 MPa mehr als doppelt so hohe Festigkeitswerte erreicht werden als mit kalten Formteilaufnahmen. Bei 5 s Umstellzeit wurden im geschlossenen Luftraum Festigkeitswerte von ca. 16,5 MPa erreicht. Sie sind damit mehr als dreimal so hoch wie die Festigkeitswerte unter „normalen“ Bedingungen (kalte Formteilaufnahmen).
Von besonderem Vorteil ist, dass der Anwärmprozess mit temperierten Formteilaufnahmen in Verbindung mit einer umlaufenden Abrisskante um bis zu 5 s kürzer ist als mit kalten Formteilaufnahmen, damit sind auch die Zykluszeiten entsprechend kürzer.
Das technologische Verarbeitungsfenster für das Infrarotschweißen von Formteilen aus Polyamiden konnte vergrößert werden, um damit zum einen die erreichbaren Schweißnahtqualitäten zu verbessern und zum anderen das Infrarotschweißverfahren unabhängiger von äußeren Umweltbedingungen und -einflüssen zu machen. Damit wird gleichzeitig die Reproduzierbarkeit des Infrarotschweißverfahrens für Formteile aus Polyamid verbessert.

Zielgruppe und Zielmarkt

Für Branchen wie Automobil- oder Elektroindustrie, die aus steigenden werkstofflichen Anforderungen hinsichtlich höherer Temperaturbeständigkeit und oder physikalischen und chemischen Eigenschaften (Elastizität, Zähigkeit, chemische Beständigkeit) für Kunststoffformteile zunehmend Polyamide einsetzen, lässt sich ein hohes wirtschaftliches Potential für die vorgestellte Entwicklung erwarten.
Besonders für Betriebe, die Formteile aus rußgefüllten Polyamiden serienmäßig mit dem IR-Schweißverfahren schweißen, sind die daraus resultierenden technologischen und wirtschaftlichen Vorteile von besonderem Interesse.
Anwender profitieren besonders von der Möglichkeit, größere Formteile aus Polyamiden mit größeren Umstellzeiten reproduzierbar mittels des Infrarotschweißverfahrens mit höheren Festigkeiten verschweißen zu können. Gleichzeitig trägt die entwickelte Lösung zur Erhöhung der Produktivität bei, da die Zykluszeiten um bis zu 5 s verkürzt werden können.