Ziel der Entwicklung

Logo: A19: Petersdorfer Brücke (Bildquelle: www. brueckenweb.de)
A19: Petersdorfer Brücke (Bildquelle: www. brueckenweb.de)

Derzeit sind zirka 2.000 von 4.000 Straßenbrücken (Stahl) älter als 80 Jahre. Davon 5,8 Prozent sind Stahlbrücken, die den Großbrückenbaus (Länge = 100 m) vertreten. Ein Großteil der heute stehenden Stahlbrücken wurde in den 1960er und 1970er Jahren errichtet. Die gegenüber diesen Baujahren stark erhöhten und weiterhin steigenden Verkehrslasten wirken sich an den Stahlbrücken besonders ungünstig aus. Im Moment werden zirka 13,5 Prozent (Autobahn) und neun Prozent (Bundesstraße) der Stahlbrücken durch die Bundesanstalt für Straßenwesen schlechter als 2,5 eingestuft. Note 3 und schlechter ist Indikator für in naher Zukunft zu planende Instandsetzungsmaßnahmen, Note 3,5 geht mit einer erheblich beeinträchtigten Stand- und/oder Verkehrssicherheit einher. Zugrundeliegende Schäden beruhen unter anderem auf einer unzweckmäßigen Gestaltung konstruktiver Details, vor allem in den 50er bis 60er Jahren, die nach heutigem Ermessen nicht ermüdungsgerecht sind. Diese zeigten sich bei orthotropen Fahrbahnplatten hauptsächlich an den Anschlüssen zum Fahrbahn-Deckblech, sozusagen in der „Güte der Lastabtragung“ von der Fahrbahn (Schadens-Kategorie 1) über die Rippen (Kategorie 2) in die Querträger (Kategorie 3) und die Hauptträger (Kategorie 4). In Mecklenburg-Vorpommern waren zirka sechs Prozent der Brückenbauwerke kritisch, wie zum Beispiel die Petersdorfer Brücke an der A 19. Im Zuge von Rückbau sowie Komplettaustausch dieser Brücke nach 2015 stand originaler Altstahl der 70ger Jahre mit Vorbelastung für Untersuchungen zur Verfügung.
Ziel des Vorhabens war es, den untersuchten Altstahl vor allem hinsichtlich seiner Eigenschaften in Blechdickenrichtung, seiner Terrassenbruchneigung, seiner Schweißeignung, Möglichkeiten und Auswirkungen zur Verfestigung sowie seiner Restlebensdauer zu bewerten. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden in Form eines kompakten Leitfadens zusammengefasst und bieten damit vor allem für kleine und mittlere Unternehmen die Möglichkeit, sich an der in der Regel komplexen Reparatur von Stahlbrücken zu beteiligen und sich erfolgreich auf entsprechende Lose bei öffentlichen Ausschreibungen zu bewerben. Darüber hinaus ist dieser ebenso hilfreich für Konstrukteure und Straßenbauämter. Entsprechende Schulungen durch die Forschungsstelle sollen kurzfristig angeboten werden. Mittelfristig können einschlägige Regelwerke sowie Aus- und Weiterbildungsangebote der Forschungsstelle aufbereitet werden.

Vorteile und Lösungen

Am Altstahl St 52-3 der alten Petersdorfer Brücke wurden originale T- und Kreuzstöße untersucht, die verschiedene Imperfektionen, aber keine davon ausgehenden Risse zeigten, auch keine Lamellenrisse. Der Altstahl besaß also zum Zeitpunkt des Einbaus eine gewisse Dickenbeanspruchbarkeit. Diese ging jedoch im Laufe der Standzeit verloren. Grundwerkstoff aus den Längsträgern dreier Brückenbereiche wurde konventionell (Zug-, Biege-, Kerbschlagbiegeprüfung, Mikroschliff) und speziell (Baumann, TAuBi, Z-Güte, Ermüdung) geprüft. Ebenso wurde ein aktueller Referenzstahl gleicher Festigkeit (S355J2+N) untersucht. Die am Altstahl ermittelten Werte für Streckgrenze und Zugfestigkeit genügen den damaligen (TGL 7960) und aktuellen Normforderungen (DIN EN 10025-2) eines vergleichbaren Stahls. Die Kerbschlagarbeit, vor allem bei Prüftemperaturen im Minusbereich, genügt nicht mehr den Angaben der TGL 7960 (gealterter Stahl). Moderne Stähle sind reiner, feinkörniger und somit zäher als in den 70er Jahren. Der untersuchte Referenzstahl wies Kerbschlagarbeitswerte bis 170 J bei -20 °C auf. Mikroschliffaufnahmen am Altstahl zeigen neben groben Körnern viele dünne Mangansulfide, die Auslöser für Terrassenbruch bei Beanspruchung in Dickenrichtung sind. Der Schwefelanteil (hier „nur“ bis 0,032 Prozent) täuscht über damit verbundene Probleme hinweg. Durchgeführte Baumannabdrücke an drei Materialdicken zeigten, dass der Schwefel über die gesamte Blechdicke verteilt war. Das wird Reparaturschweißen am Altstahl erschweren, zum Beispiel unsauberes Schweißgut. Mit Hilfe des „Technologischen Aufschweißbiegeversuchs“ wurde zudem nicht ausreichendes Rissauffangvermögen des (gealterten) Grundwerkstoffs festgestellt. Die Prüfung der Brucheinschnürung in Dickenrichtung ergab nur bei einer von sieben Messungen eine Güte von Z15 (kleinster zulässiger Einzelwert: Z = zehn Prozent). Von 21 Einzelwerten an drei Materialdicken lagen 17 unterhalb von zehn Prozent, nahezu bei Null. Der untersuchte Altstahl hat keine verwertbare Z-Güte. Am Referenzstahl konnte Z15 beziehungsweise Z35 ermittelt werden, der kleinere Wert bei der größeren Blechdicke. Eigene Schweißungen am Altstahl, Prozesse 111 und 135, zur Simulation von Reparatur- und Verstärkungsmaßnahmen an Altstahlbrücken im T- Überlappt-Stoß wurden mit neuen unlegierten beziehungsweise zähen Ni-legierten Schweißzusätzen ausgeführt. Durch Variation von Stegform (Kehlnaht, DHV-Naht), Schweißfolge und Schweißzusatz konnten technologische Abhilfen zur Vermeidung von Terrassenbrüchen nachgestellt werden. 50 Prozent der Schweißproben wurde PIT-behandelt (Hochfrequenzhämmern). Eine Verfestigung am Nahtübergang wurde an Mikrohärtemessungen und röntgendiffraktometrischen Eigenspannungsmessungen demonstriert. Die PIT-Behandlung am Altstahl kann also geeignete Verstärkungsmaßnahmen unterstützen. Ermüdungsversuche wurden an drei Konstruktionsdetails aus Alt- und Referenzstahl geführt: am taillierten Referenzstab und an vier reinigungsgestrahlten Referenzstäben des neuen Stahls, am Lochstab „gekerbte“ Probe sowie am geschweißten Quersteifen. Die statistische Auswertung erfolgte nach EN 1993-1-9 Background Dokument. Die Schwingfestigkeitsversuche am Referenzstab konnten aufdecken, dass Altstahl die geringsten Versuchslebensdauern sowie die steilste versuchsbedingte Steigung der Zeitfestigkeitsgeraden aufwies. Das ist auf die schlechte Qualität des Altstahls zurückzuführen (grobkörnig, viele Mn-Sulfide), die sich schwingfestigkeitsreduzierend auswirkte, sowie auf dessen Oberflächenzustand, da Referenzstahlproben mit Walzhaut einen um 54 Prozent höheren Bezugswert der Ermüdungsfestigkeit aufwiesen. Die Ergebnisse am Referenzstab aus Altstahl lassen eine Zuordnung zur KFK112 zu, die am Referenzstab im unbelasteten Neuzustand zur KFK125. Reinigungsstrahlen an neuen Referenzstäben hat einen positiven Einfluss auf die Schwingfestigkeit. Neben einer Abflachung der versuchsbedingten Steigung der Zeitfestigkeitsgeraden konnte die ertragbare Längsspannungsschwingbreite gesteigert werden.
Der Einfluss der Formkerbe auf die Schwingfestigkeit wurde an Lochstäben ermittelt. Die Serien aus Altstahl sowie aus Referenzstahl wiesen vergleichbare Versuchslebensdauern auf. Der Altstahl ließ sich der KFK90 zuordnen, die Lochstäbe aus Referenzstahl der KFK100. Der Einfluss der Formkerbe dominiert den Ermüdungswiderstand und drängt den Einfluss der Probenoberfläche und der Stahlqualität in den Hintergrund. Dies ist besonders erfreulich hinsichtlich mechanisch gefügter Instandsetzungsmaßnahmen an Bestandsbauwerken. Bei den Schwingfestigkeitsversuchen der Bleche mit Quersteife trat das Bruchereignis bei Mehrheit der Versuchskörper in der Einspannung auf, was voraussichtlich auf die Richtarbeiten im kalten Zustand zurückzuführen ist, die den schweißbedingten Verzug korrigierten. Diese Serie konnte nicht statistisch ausgewertet werden. Die Serie aus Altstahl hingegen lässt eine Einordnung der Versuchsergebnisse in die KFK90 zu.

Zielgruppe und Zielmarkt

Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens richten sich an einen breiten Anwendermarkt im In- und Ausland. Vor allem für Stahlbauer und Fertiger mit hohen Ansprüchen an die Nahtqualität, sowohl bei der Ertüchtigung von Bestandsbrücken aus Stahl als auch bei Neubauten haben durch die im Vorhaben erzielten Ergebnisse einen erheblichen Mehrwert. Die im Zuge dieses Projekts ermittelten Erkenntnisse bilden die Grundlage für einen wissenschaftlich abgesicherten Prozess für die Reparatur und Ertüchtigung von Stahlbrücken mittels geeigneter, modernen Schweißprozessvarianten. Davon profitieren neben den bauausführenden Stahlbaufirmen, auch Ämter, die mit der Vergabe von Reparaturaufträgen und/oder Neubauten betraut sind sowie Projektanten und Bauüberwacher, welche in der Regel aus KMU stammen. Alle Teilnehmer aus diesem Kreis werden sensibilisiert für Probleme, die mit der Be- und Verarbeitung von Altstahl verbunden sind. Das Thema ist damit hochgradig wichtig für alle KMU, die sich auf die künftig anstehenden Aufträge im Bereich Reparatur/Ertüchtigung von Stahlbrücken bewerben wollen.
Da ein Großteil, der heute noch stehenden kritischen Straßen- und Autobahnbrücken aus den 60er und 70er Jahren stammt, andere Stahlbrücken sogar älter als 80 Jahre sind (bundesweit zirka 2.000 Stück), ist die im Projekt angesprochene Problematik hochbrisant. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu dienen, die meist jahrelangen Reparaturzeiten weiter zu minimieren. Ämter und Projektanten erhalten entsprechende Informationen über notwendige Fügeprozesse und welche Voraussetzungen einer Ertüchtigungsreparatur vorangehen. Ausführende Stahlbauer und Ingenieurbüros erhalten einen Leitfaden zur Einschätzung der notwendigen Aufgaben in Abhängigkeit des Ausgangszustandes des zu reparierenden Bauteils. Die Ergebnisse werden unter anderem über die Mitglieder des projektbegleitenden Ausschusses, Vorträge beim DVS Congress und Informationsvermittlung an Straßenbauämter, Stahlbauer und Ingenieurbüros verbreitet. Angedacht sind auch mögliche Ergänzungen in einschlägigen DIN-Fachberichten. Darüber hinaus soll ein Sonderseminar konzipiert und angeboten werden, das sich mit relevanten Fragen zu Altstahl, daraus resultierenden Schweißproblemen, der Aufzeigung bekannter Schweißfehler und Abhilfen zu deren Vermeidung, zu „brückentypischen“ Rissen/ Rissorten, der Terrassenbruchneigung an altem Stahl im Zusammenhang mit typischen Brückenelementen/ Schweißverbindungen, der Auswirkungen von Rissen auf das Gesamtbauwerk, der Auswahl und Zuordnung von Zusatzwerkstoffen (auch in Verbindung mit der Auswahl/ Ausbildung von Schweißern, zum Beispiel FM-Gruppen nach ISO 9606) sowie der Auswahl von Schweißprozessen und -parametern beschäftigt. Potenzielle Teilnehmer einer solchen Weiterbildung sind Mitarbeiter von Straßenbauämtern, Projektanten, Brückenbauer, Reparaturfirmen und Schweißaufsichtspersonen. Der Transfer und Vermarktung der erarbeiteten Ergebnisse durch die SLV M-V gestaltet sich dabei wie folgt: 1. Diskussion und Vorstellung der Ergebnisse im Rahmen von Workshops und Meetings mit dem projektbegleitenden Ausschuss sowie regionalen und überregionalen Straßenbauämtern. 2. Vorstellung der Ergebnisse der durchgeführten Forschungsarbeiten in Seminaren und Workshops, auf Messen, Tagungen und Konferenzen. 3. Veröffentlichung der Ergebnisse in Fachzeitschriften, zum Beispiel „Schweißen & Schneiden“, „Der Praktiker“, „Brückenbau Construction & Engineering“, „Stahlbau“, „Deutsches Ingenieurblatt“). 4. Spezielle Veranstaltungen (z.B. Lehrgänge, Seminare) zur Thematik. 5. Weiterer Transfer von Forschungsergebnissen der SLV M-V über Einarbeitung der Ergebnisse in angebotene Standardlehrgänge, wie zum Beispiel „Schweißfachingenieur, Schweißtechniker, Schweißfachmann“ sowie Vorlesungen zur Fertigungstechnik an der Universität Rostock. 6. Zusammenarbeit mit Endnutzern von Technik und Technologien. 7. Vergabe diverser Bachelor- und Masterarbeiten im Rahmen der Durchführung des Projektes.