Ziel der Entwicklung

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Referenzfeldrasterung eines Leders

Die Planung und die Auswahl des Zuschnitts für die Fertigung eines Lederproduktes orientiert sich nach wie vor an vorhandenen Strukturmustern und Erfahrungswerten, die jedoch in einer Vielzahl von Fällen als Konsequenz der hautspezifischen und richtungsabhängigen Varianz des Beanspruchungs- und Formänderungsvermögens erschwert werden und aufwändige beziehungsweise kostenintensive Beanstandungen und Produktreklamationen nach sich ziehen können. Mit fortschreitender Automatisierung und gebrauchsbedingter Selektion werden Erfahrungswerte und Strukturmuster nicht länger ausreichen. Für eine zielgerichtete Optimierung des Zuschnittes zur automatisierten Konfektionierung von Kfz-Interieurkomponenten, aber auch von Polstermöbeln, Bekleidung und Schuhen sind zuverlässige, detaillierte Messwerte zur Varianz von Dehnungsbetrag und -anisotropie bei niedriger verarbeitungs- und gebrauchsrelevanter Belastung über die gesamte Fläche einer Haut erforderlich. Sowohl mit Standard-Prüfverfahren als auch mit modernen bildgebenden und akustischen Messmethoden kann die Dehnungsanisotropie von Leder derzeit nicht zerstörungsfrei und ortsaufgelöst bestimmt werden. Dies ist insbesondere auf technische Einschränkungen der jeweiligen Methode unter anderem zerstörendes Prinzip, symmetrische Belastung, Messaufbau und materialspezifische Faktoren wie flexibles, großflächiges Material, Narbenstruktur und gegebenenfalls glänzend/reflektierend zurückzuführen. Auf Basis dessen wird deutlich, dass zur Abbildung der Dehnungsanisotropie über die gesamte Haut ein neues ortsaufgelöstes Verfahren benötigt wird, welches zerstörungsfrei Größe und Richtungsabhängigkeit der Dehnung quantifiziert. Das Ziel des FuE-Vorhabens war die Entwicklung eines neuen praxistauglichen und kosteneffizienten Verfahrens auf der Grundlage des bewährten Prinzips der Eindringtiefenmessung zur Bestimmung der Weichheit des Leders. Durch gezielte technische Modifikation des Prüfwerkzeugs und einen neu zu entwickelnden Auswertealgorithmus sollte die Vorzugsorientierung beziehungsweise Anisotropie der Dehnung definierter Lederbereiche für eine systematische Planung und Auswahl von Zuschnitten ermittelt werden. Durch gezielte Auswahl von Eindringkörper (Prüfstempel) und Prüfmatrize für die Umrüstung des Standard-Handprüfgerätes (beschaffter Softness Tester ST100, nach DIN EN ISO 17235) sollte eine lokale asymmetrische und belastungsarme Verformungsfeldbeanspruchung auf das Leder zerstörungsfrei ausgeübt werden. Die Bestimmung der Vorzugsorientierung (Dehnungsanisotropie) erfolgt dann indirekt über eine variierende Verformungsantwort (Weichheit) des Materials.

Vorteile und Lösungen

Im Rahmen des FuE-Vorhabens wurde ein neues mechanisches Messverfahren zur orientierungs-bezogenen Bestimmung und Differenzierung der Eindringtiefe und Ableitung einer Vorzugsorien-tierung von Leder entwickelt. Auf Grundlage einer asymmetrischen Verformungsfeldbeanspru-chung erlaubt es eine zerstörungsfreie ortsaufgelöste Prüfung der Dehnungsanisotropie von gan-zen Häuten und Zuschnitten. Die Praxistauglichkeit und die Robustheit des neuen Verfahrens wur-den anhand zahlreicher Eignungstests und Validierungsuntersuchungen nachgewiesen.
Mit Hilfe eines entwickelten Auswertealgorithmus ist es möglich, die orientierungsbezogenen Messwerte der Eindringtiefe zu differenzieren, die Vorzugsorientierung pro Referenzfeld des Le-ders automatisiert zu bestimmen und zu visualisieren, die Dehnungsanisotropie zu quantifizieren und das Ergebnis bezüglich seiner Robustheit zu bewerten. Darüber hinaus lässt sich ein direkter Rückschluss auf die Weichheit des Leders je Referenzfeld ziehen. Das Messverfahren ist generell für alle Leder geeignet. Diese können sich unter anderem bezüglich Tierart, Zurichtung, Alter und Weichheit unterscheiden. Anhand einer erstellten Prüfanweisung werden das Prüfequipment, die Messbedingungen, die empfohlenen Prüfstrategien und die Ergebnisauswertung beschrieben.
Die Messungen zur Dehnungsanisotropie an diversen Ledern haben erwartungsgemäß gezeigt, dass die dominierende Vorzugsorientierung sowohl in Abhängigkeit von der Tierart als auch von der Sektion der Haut variieren kann. So verzeichnen die Bereiche von Croupon, Hals (Schulter), Flanke und Klauen häufig eine unterschiedlich dominierende Vorzugsrichtung. Dies konnte erstmalig zerstörungsfrei, ortsaufgelöst und zeiteffizient nachgewiesen werden. Mit Vorkenntnissen zu den Anforderungen an Dicke, Weichheit und Vorzugsorientierung lässt sich auf Basis des neuen Messverfahrens ein bestimmter optimaler Bereich des Leders für die betreffende Anwendung identifizieren. Weiteführend ist auch eine Kombination des Messverfahrens mit einer Dickenbestimmung denkbar. Durch Integration des neuen Tools in automatisierte Prozessabläufe zur Lederverarbeitung lässt sich eine computergestützte Auswahl und Planung des Zuschnitts einzelner Konfektionsteile und eine effektive Materialausnutzung individuell für jede Haut im Sinne von Industrie 4.0 ermöglichen. Demzufolge spielen subjektive Referenz- und Erfahrungswerte des Lederverarbeiters eine untergeordnete Rolle. Ausfallrisiken und Reklamationen aufgrund einer falschen beziehungsweise unsachgemäßen Zuschnittplanung können vermieden werden.

Zielgruppe und Zielmarkt

Als Zielmärkte für das neu entwickelte Messverfahren gelten sowohl die Lederindustrie als auch alle lederverarbeitenden Industriezweige. In Europa ist Deutschland hinter Italien und Spanien nach wie vor die drittgrößte lederproduzierende Nation. Besondere wirtschaftliche Bedeutung hat die Automobil- und Automobilzulieferindustrie sowie die Möbelindustrie als wichtigste Abnehmern. Weitere Anteile entfallen auf die Schuhindustrie und den Einsatz für exquisite Bekleidungsprodukte, Sattler- und Täschnerwaren. Allerdings bildet die Schuhherstellung die umsatzstärkste Einzelbranche.