Ziel der Entwicklung

Logo: Expandierbare Mikrosphäre eingebettet in Polyolefinpartikel bei 150 °C © IKTR
Expandierbare Mikrosphäre eingebettet in Polyolefinpartikel bei 150 °C © IKTR

Jeder Kunststoff besitzt ein spezifisches Eigenschaftsprofil, der seinen Anwendungsbereich limitiert. Ist ein Kunststoff für eine spezifische Problemlösung vorgesehen, sei es aus Kostengründen, Kundenvorgaben oder Recyclingüberlegungen, müssen die Eigenschaften des ausgewählten Kunststoffes den Anforderungen des Anwendungszweckes angepasst werden. Dazu wurde in der Industrie eine Vielzahl von Additiven entwickelt. Parallel wurde die Materialverarbeitungstechnik soweit verbessert, dass der Zusatz von festen oder flüssigen Additiven an verschiedenen Punkten des Verarbeitungsprozesses möglich ist. Nachteilig hierbei ist der hohe technische und finanzielle Aufwand, wenn mehrere Additive gleichzeitig gezielt in den Verarbeitungsprozess eingebracht werden müssen. Hinzu kommt, dass die Additive selbst spezifische Anforderungen an den Verarbeitungsprozess stellen, so dass beachtet werden muss, ob die Additivierung bei den vorgesehenen Verarbeitungstemperaturen durchgeführt werden kann und ob die Additive unter den Verarbeitungsbedingungen chemische Wechselwirkungen untereinander eingehen können. Das Resultat sind hochkomplexe, hochspezifische und überwachungsintensive Prozessabläufe, die kostenintensiv bei der Anschaffung sind und sich nur bei hohen Durchsätzen beziehungsweise Stückzahlen für den Verarbeiter rechnen. Nischenprodukte oder Entwicklungsprojekte werden somit praktisch ausschlossen, denn der Verarbeiter trägt ein erhöhtes finanzielles Risiko. Die Grundidee des Projektes basiert darauf, den hochkomplexen Verarbeitungsprozess zu vereinfachen und gleichzeitig das Anwendungsspektrum thermisch, mechanisch oder chemisch sensibler Additive zu erweitern. Die Vereinfachung der Additivierung ist in der Industrie aus Kostengründen längst Realität. Verschiedene Additivhersteller und zahlreiche Lohnfertiger bieten Masterbatches an, die auf Basis des ausgewählten Kunststoffes einen oder mehrere Additive enthalten. Nachteilig ist hierbei, dass ein kostenintensiver zusätzlicher Arbeitsschritt notwendig ist, der an den Endkunden weitergegeben werden muss, ohne dass ein Mehrwert im Eigenschaftsspektrum erzielt wird. Die Einkapselung von Wirkstoffen in eine elastische Matrix hat den Vorteil, dass die Freisetzung nicht unmittelbar an der Einzugstelle des Extruders erfolgt, wodurch die mechanische und thermische Belastung der Wirkstoffe minimiert und die Einwirkung von Luftsauerstoff auf die Additive weitgehend ausgeschlossen wird. Gleichzeitig werden chemische Wechselwirkungen bei den hohen Temperaturen im Extrusionsprozess minimiert. Aufgrund des Aufschmelzverhaltens der Partikel erfolgt die Wirkstofffreisetzung kontinuierlich, wodurch erhöhte Umsätze bei reaktiven Extrusionen zu erwarten sind, da Nebenreaktion gezielt unterdrückt werden können.
Für flüssige Formulierungen, wie zum Beispiel Harze oder Emulsionen, werden ebenfalls Additive benötigt, um die Endeigenschaften dem Anwendungszweck anzupassen. Die Einarbeitung von partikulären Additiven in viskose Flüssigkeiten erfordert einen hohen Energieeintrag, um die Additive gleichmäßig zu dispergieren und eventuelle Aggregate aufzulösen. Hierzu werden üblicherweise keine Masterbatche angeboten, da die Additive leicht einzeln nacheinander dosiert werden können. Nachteilig ist, dass spezifische Additive scher- oder temperaturempfindlich sein können oder aus chemischen Gründen, zum Beispiel Reaktivharze zunächst nicht mit der Formulierung in Kontakt treten dürfen oder sollen (Depotwirkung). Vorteilhaft sind feinteilige Partikel. Auf dem Markt sind dazu Lösungen verfügbar. Keine der Marktlösungen enthält jedoch ein bei moderaten Temperaturen aufschmelzendes, hochscherstabiles Hüllmaterial, das nach der Primäraufgabe eine eigene (zusätzliche) Aufgabe im Endprodukt erfüllen kann, wie die im Projekt dargestellten feinteiligen Partikel aus EAA, die beispielsweise als Haftvermittler, Schlagzähmodifier oder Polarmodifikator wirken können, was die Bedruckung vereinfacht.
Die im Forschungsvorhaben erhaltenen Ergebnisse belegen, dass der Sol-Gel-Prozess dazu verwendet werden kann, feinteilige Polyolefinpartikel herzustellen und gleichzeitig funktionale Additive, wie beispielsweise Treibmittelsphären, einzuschließen. Die erhaltenen Partikel, bestehend aus dem eingebetteten Additiv sowie dem Polyolefin, können in fester oder flüssiger Form in flüssige oder schmelzflüssige Formulierungen eingearbeitet werden. Das zunächst als Einbettungsmaterial verwendete Polyolefin kann, im Gegensatz zu vergleichbaren kommerziell verfügbaren Einbettungen, aufgrund seiner Funktionalisierung in die Matrixmaterialien chemisch eingebunden werden, so dass neben der Additivfreisetzung, eine Verbesserung der Weiterreißfestigkeit sowie eine Modifikation der Schlagfestigkeit der Matrixmaterialien erfolgen kann. Signifikante Vorteile sind die hohe Scherstabilität der Polyolefinummantelung im Vergleich zu Wettbewerbsprodukten sowie eine Verbesserung der Lagerfähigkeit bei flüssigen Formulierungen.

Vorteile und Lösungen

Die Einbettung von Wirkstoffen in feinteilige Polyolefinpartikel (d90 ca. 10 µm) bietet die Möglichkeit der Immobilisierung von Flüssigkeiten und Feststoffen, das Versiegeln von empfindlichen Stoffen bis zum erwünschten Freisetzungszeitpunkt sowie Schutz vor vorzeitigen Reaktionen mit Licht, der Atmosphäre, Temperaturschwankungen oder Wechselwirkungen mit Formulierungsbestandteilen in einer elastischen Matrix. Der Anwender kann neue Verarbeitungsstrategien und neue technische Ausstattungsmöglichkeiten von Produkten erzielen.
Zur Herstellung der Polyolefin-Partikel wird ein Sol-Gel-Verfahren verwendet, das es erlaubt, unter Verwendung von gängigen Verarbeitungsmethoden, wie Kneten oder Extrusion, feinteilige Polyolefinpartikel im Größenbereich von 0,5 - 100 µm herzustellen, die zum Beispiel durch Kryomahlung nicht mit vertretbarem Aufwand herzustellen sind. Der im Projektsinne verwendete Begriff des Sol-Gel-Prozesses basiert auf dem Prinzip der Schmelzeentmischung chemisch inkompatibler Rezepturbestandteile während des thermisch induzierten Entmischungsvorgangs. Als Ausgangsmaterial zur Herstellung von feinteiligen Polyolefinpartikeln im Sol-Gel-Prozess (siehe Bild 1) dienen Polyolefine, wie PE, EPDM oder EAA, die in einer Mischeinrichtung aufgeschmolzen und im schmelzflüssigen Zustand mit einer polareren Flüssigphase versetzt werden. Die verwendete Flüssigphase wird dabei so gewählt, dass sie bei Raumtemperatur chemisch unverträglich mit dem verwendeten Polymer ist. Nach ausreichender Homogenisierung wird die Schmelze definiert abgekühlt, wobei eine Entmischung der Rezepturbestandteile infolge chemischer Unverträglichkeit einsetzt und sich feinteilige Partikel ausbilden. Bisher wurden die auf diese Weise erhaltenen Partikel in Plastisolen auf Basis von Polyolefinen verwendet, die als Alternative zu PVC-Plastisolen, weichmacher-, chlor- und schwermetallfrei sind (WO 00 2002 010235 A1). In einer Weiterentwicklung wurden die feinteiligen Polyolefinpartikel aus der im Sol-Gel-Verfahren erhaltenen Masse isoliert bzw. der Verarbeitungsprozess dahingehend modifiziert, dass die Pulver in situ entstehen. Diese können zum Beispiel als Schlagzähmodifier in Pulverlacken auf PUR-Basis eingesetzt werden (DE 1020 16015356 B4). In der aktuellen Entwicklungsstufe wurde der Herstellungsprozess der feinteiligen Polyolefinpartikel modifiziert, indem im Zuge des Herstellvorgangs Wirkstoffe in die Polyolefinschmelze eingebracht werden, die in den entstehenden Polyolefinpartikeln eingelagert werden (siehe Bild 3). Die Einbringung des Wirkstoffes kann dabei direkt in die Schmelze erfolgen, in die flüssigkeitshaltige Schmelze oder während des Abkühlprozesses vor Beginn der Partikelbildung. Die erhaltenen Polyolefinpartikel liegen nach der Deagglomerisation in feinteiliger Form vor und sind rieselfähig.
Die modifizierten feinteiligen Polyolefinpartikel werden mittels eines Dissolvers in eine flüssige Formulierung, wie zum Beispiel eine Harzkomponente, eingebracht. Die Partikel können aufgrund der elastischen Einbettung bei hohen Scherraten in der Formulierung homogen verteilt werden, ohne dass die Wirkstoffe vorzeitig austreten. Die thermische und mechanische Belastung der Wirkstoffe im Formulierungsprozess wird verringert. Das Aufschmelzen der Polyolefinpartikel, sowie die damit verbundene Freisetzung der Wirkstoffe erfolgt bei Temperaturen ab ca. 90 °C - 130 °C. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Freisetzung der Wirkstoffe nicht schlagartig erfolgt. Kleinere Partikel erweichen schneller als größere Partikel, was zu einer zeitlich gestreckten Freisetzung der Wirkstoffe führt. Dies kann von Vorteil sein, wenn Reaktivkomponenten dosiert freigesetzt werden sollen. Die Einbettung von Wirkstoffen in die Polyolefinpartikel führt, einerseits zu kleineren Partikeln, die niedrige Wirkstoffgehalte aufweisen, aber auch zu größeren Partikeln, die höhere Wirkstoffgehalte enthalten können (siehe Bild 5). Durch eine Siebung können die rieselfähigen Polyolefinpartikel fraktioniert werden.
Nach dem Aufschmelzen der Polyolefinpartikel und der Wirkstofffreisetzung verbleiben die aufgeschmolzenen Polyolefine in der gelierten oder vernetzten Formulierung. Je nach Mischbarkeit mit der Formulierung können sich dabei Mikrodomänen aus Polyolefinen ausbilden. Die als Nebenprodukt gebildeten Polymerpartikel besitzen reaktionsfähige funktionelle Seitenketten, so dass die zurückbleibenden Einbettungsmaterialien über chemische Bindungen in die aushärtende Formulierung eingebunden werden können. Durch die Einbindung in die Formulierung kann neben der Wirkstofffreisetzung eine Verbesserung der Schlagzähigkeit, der Haftung auf verschiedenen Untergründen, eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Spannungsrisse sowie eine verbesserte Flexibilisierung der Formulierung auftreten.

Zielgruppe und Zielmarkt

Im Zuge der Klimadiskussion und der Umstellung auf Elektromobilität wird unter anderem bei der Fertigung von Fahrzeugteilen aus Kunststoffen versucht, die einzelnen Baugruppen so leicht wie möglich zu gestalten, was allgemein durch eine Dichtereduktion erfolgen muss. Zur Dichtereduktion werden Hohlkörper aus Glas- oder Kunststoff verwendet. Nachteilig ist, dass die Menge der einsetzbaren Hohlkugeln in Hinblick auf die Abnahme der mechanischen Kennwerte limitiert ist, da keine oder nur eine rudimentäre physikalische Wechselwirkung zwischen Glas- oder Kunststoffhohlkugeln und den unpolaren Kautschuken möglich ist und diese somit als Schwachpunkte bei mechanischer Belastung oder thermischen Schwankungen durch Umwelteinflüsse wirken. Die Einbettung der Hohlkörper in eine elastische Polymermatrix, die chemisch so funktionalisiert wurde, dass eine chemische Anbindung an den Primärkunststoff möglich ist, könnte diesen Effekt minimieren und damit die Fertigung von kostengünstigen Leichtbauteilen mit verringerter Dichte ermöglichen. Neben dem Automobilbereich ist ein Einsatz der modifizierten Treibmittel auch in anderen Einsatzgebieten als Leichtbaufüllstoff denkbar, wobei anders als bei kommerziellen Treibmitteln eine höhere mechanische Stabilität in Harzformulierungen, wie zum Beispiel Phenol-Formaldehyd- oder Melamin-Formaldehyd-Kondensaten, zu erwarten ist. Denkbar wäre weiterhin ein Klebstoff mit sehr geringer Dichte, der dennoch eine hohe Haftfestigkeit und zudem noch eine gewisse Schlagzähigkeit aufweist, was bei Temperaturschwankungen von Vorteil ist oder aber bei Neuverklebungen zu einer hohen Anfangsfestigkeit führen könnte. Ein Einsatz der in Polyolefinpartikeln eingebetteten Treibmittel ist in Bereichen sinnvoll, in denen geschäumte Formulierungen mechanisch beansprucht werden, wie zum Beispiel beim Verkleben von hochwertigen Tapetenbahnen oder der Verarbeitung von Kunstlederprodukten beziehungsweise deren Gebrauch. Bisher müssen derartige Produkte zur Stabilisierung auf Trägern, wie Papier oder Geweben, fixiert werden. Ebenso erscheint ein Einsatz in Siebdruckfarben sinnvoll, da die zum Teil geschäumten Bedruckungen zum Beispiel bei Waschvorgängen mechanisch stark belastet werden. Durch den Einsatz der modifizierten Treibmittel ist eine längere Lebensdauer der Bedruckungen zu erwarten, ohne dass sich einzelne Elemente des Druckbildes vorzeitig ablösen, da gleichzeitig die Haftfestigkeit auf dem Untergrund verbessert wird. Die zielgerichtete wirtschaftliche Verwertung der Projektergebnisse bietet dem IKTR die Möglichkeit engere Kontakte aufzubauen und sich in die Problemstellungen der Zielunternehmen einzuarbeiten und dabei weiterführende tagesaktuelle Problemstellungen direkt beim Verarbeiter zu ergründen sowie ggf. Lösungsvorschläge in Form von Auftragsforschungen zu erarbeiten. Durch die Kooperation mit verschiedenen Spezialanbietern, deren Erfahrungsschatz sowie deren Herangehensweise an tagesaktuelle Problemstellungen ergeben sich erfahrungsgemäß Ansatzpunkte für weiterführende Kooperationen sowie die Neubewertung von fachbezogenen Problemstellungen aus einzigartigen Perspektiven, die für das IKTR den benötigten Input für eigene Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auslösen können.