Ziel der Entwicklung

Logo: Mikroskopiebilder der Kalottenschliffe der Schichtsysteme CrN-TiB2-ML und TiN-BorAC-ML, © GFE Schmalkalden e.V.
Mikroskopiebilder der Kalottenschliffe der Schichtsysteme CrN-TiB2-ML und TiN-BorAC-ML, © GFE Schmalkalden e.V.

Das Ziel des Vorhabens bestand in der Entwicklung von Werkzeugbeschichtungen mit anisotropen thermischen Schichteigenschaften. Durch spezielle Mehrlagensysteme sollte ein auf den jeweiligen Zerspanungsprozess angepasstes Wärmemanagement erarbeitet werden, das zur Leistungssteigerung des Gesamtsystems beiträgt. Hierbei sollten folgende 3 Effekte erzielt werden:
(1) Thermischer Schutz und Verschleißschutz des Werkzeugsubstrats (längere Standwege)
(2) Aufrechterhalten eines hohen Temperaturniveaus an der Wirkstelle („selbstinduzierte Heißzerspanung“)
(3)„sich selbst regenerierende Schichtoberfläche“
Um die Effekte (1) und (2) ohne aufwendige Zerspanversuche nachzuweisen, sollte ein Temperaturmessplatz aufgebaut werden, bei dem ein definierter Wärmeeintrag erfolgt und die Temperaturen sowie deren zeitlicher und örtlicher Verlauf im Schneidstoff und auf der Oberfläche gemessen werden. Des Weiteren sollten die entwickelten Mehrlagenschichten auf entsprechende Werkzeuge durch PVD-Beschichtung aufgetragen werden und anschließend in Zerspanversuchen durch Hartdrehen von Edelstahl mit den einer zu definierenden Referenzschicht beschichteten Werkzeugen gegenübergestellt werden. Diese Schichtsysteme sollten folgende technische Zielparameter erreichen:
Reduzierung der Temperatur im beschichteten Substrat um mehr als 35 Prozent gegenüber der Temperatur eines unbeschichteten Substrats und um mindestens 15 Prozent gegenüber der eines mit einer Referenzschicht beschichteten Substrats. Erhöhung des Werkzeugstandweges eines mit dem zu entwickelnden Schichtsystem beschichteten Werkzeugs beim Trockenzerspanen um 20 Prozent gegenüber dem Standweg eines mit einer Referenzschicht beschichteten Werkzeugs.

Vorteile und Lösungen

Die Entwicklung von PVD-Schichten mit anisotropen Schichteigenschaften basierte auf Multilagenstrukturen, wobei sich die Einzellagen deutlich in der Wärmeleitfähigkeit und in der Verschleißbeständigkeit unterscheiden. Durch diese Anisotropie soll gewährleistet werden, dass das Werkzeugsubstrat vor thermischer Überhitzung geschützt wird und je nach Anwendungsfall die Wärme beim Zerspanen an der Schichtoberfläche schnell von der Wirkstelle abtransportiert wird beziehungsweise die Wärme an der Wirkstelle verbleiben und in den Span gehen soll, um den zu zerspanenden Werkstoff weicher zu machen. Dabei ist die jeweils verschleißbeständigere Einzelschicht im Schichtstapel die jeweils obere Schicht des Schichtpaares, um die hergestellte thermische Anisotropie beim Zerspanen möglichst lange aufrecht zu erhalten („selbst regenerierende Oberfläche“). Die Auswahl geeigneter Schichtsysteme erfolgte auf der Grundlage thermischer und mechanischer Eigenschaften von Einzelschichten. Wesentlich waren deutliche Unterschiede in der Wärmeleitfähigkeit (WLF) und der Verschleißbeständigkeit sowie die Gewährleistung der Haftung sowohl auf dem Substrat als auch der einzelnen Lagen untereinander. Als günstig haben sich Multilagenschichten als Kombination aus CrN und TiB2 (hohe Wärmeleitfähigkeit in Schichtebene, hohe Verschleißfestigkeit der Deckschicht)beziehungsweise TiN und BorAC (AlCrBN) (geringe WLF in Schichtebene, hohe Verschleißfestigkeit der Deckschicht) herausgestellt. Die mechanischen Schichteigenschaften, insbesondere die Verschleißbeständigkeit, wurden mittels Kalottenverschleiß-Verfahren und Micro-Impact-Tests ermittelt. Dabei hat sich gezeigt, dass die oberste Schicht im Mehrlagenschichtsystem die Verschleißbeständigkeit des Gesamtschichtsystems bestimmt. Damit konnte eine „sich selbst regenerierende Oberfläche“ messtechnisch an Hand der Verschleißrate nachgewiesen werden. Das Mehrlagenschichtsystem TiN-BorAC-ML ist dabei deutlich verschleißbeständiger als das Schichtsystem CrN-TiB2-ML. Um die thermische Anisotropie der entwickelten Schichten nachzuweisen, wurde die Wärmeleitfähigkeit der Schichten von der Schicht in Richtung Substrat (cross-plane) sowie in der Schichtebene (in-plane) bestimmt. Es wurde nachgewiesen, dass die Wärmeleitfähigkeit in-plane 8x höher ist als die in cross-plane-Richtung. Die Aufeinanderfolge von Einzelschichten mit hoher und geringer Wärmeleitfähigkeit führt in cross-plane-Richtung stets zu einer geringen WLF des Schichtsystems und damit zu einem thermischen Schutz des Werkzeugsubstrats. Ebenso wurde im Rahmen des Vorhabens ein Messplatz aufgebaut, der eine Messung der örtlichen und zeitlichen Temperaturverläufe beschichteter Proben erlaubt. Hierbei konnten Zusammenhänge zwischen der Temperaturverteilung und der Temperaturverläufe der beschichteten Probe und den thermischen Eigenschaften von Schicht und Substrat nachgewiesen werden. Eine hohe cross-plane-WLF der Schicht führt zu geringen Temperaturdifferenzen und umgekehrt. Mit dem Temperaturmessplatz steht eine sinnvolle, schnell verfügbare und preiswerte Alternative zur Verfügung, um indirekt Aussagen zur Wärmeleitfähigkeit von Schichten und Schichtsystemen zu erhalten. Es konnte nachgewiesen werden, dass das Multilagen-Schichtsystem CrN-TiB2-ML höhere Temperaturen auf der Schichtoberseite, jedoch geringere Temperaturgradienten als TiN-BorAC-ML aufweist. Beim System TiN-BorAC-ML konnte darüber hinaus der Temperaturanstieg auf der Rückseite einer beschichteten Probe gegenüber unbeschichtetem Hartmetall um bis zu 64 Prozent und gegenüber einer TiN-Schicht um bis zu 40 Prozent reduziert werden. So bietet die TiN-BorAC-ML neben der hohen Verschleißfestigkeit auch die beste Wärmedämmung. Der Nachweis der Praxistauglichkeit der entwickelten Multilagenschichten erfolgte beim Trockendrehen von Edelstahl 1.4305. Dabei wurden Verschleiß, Temperaturen und Schnittkräfte gemessen. Es zeigte sich, dass durch die entwickelten Multilagenbeschichtungen die Prozesskräfte bei der Zerspanung gegenüber Referenzschichten deutlich reduziert wurden. Darüber hinaus zeigen mit dem Multilagen-Schichtsystemen TiN-BorAC-ML und mit Referenzschichten beschichtete Wendeschneidplatten einen vergleichbaren Verschleiß. In den Zerspanversuchen wurde ebenso nachgewiesen, dass es durch eine geeignete Schichtstruktur möglich ist, das Temperaturregime zu beeinflussen. Durch die Multilagenstruktur wird das Werkzeugsubstrat vor thermischer Überhitzung geschützt. Beim Multilagenschichtsystem CrN-TiB2-ML ergibt sich eine hohe Temperatur an der Wirkstelle. Die Wärme konzentriert sich an der Schneidkante, was den Effekt der „selbstinduzierten Heißzerspanung“ erhöht. Die Temperaturdifferenz der TiN-BorAC-ML beschichteten Werkzeuge ist am geringsten. Das heißt, dass die Wärme gut von der Schneidkante abgeleitet wird und dadurch das Werkzeugsubstrat thermisch geschützt wird.

Zielgruppe und Zielmarkt

Als Hauptzielbranche dieser Schichtentwicklung sind Werkzeughersteller, Beschichter und Anwender von Zerspanwerkzeugen zu nennen. Die entwickelte Technologie der Abscheidung thermisch anisotroper Schichten ermöglicht durch die unterschiedlichen Wärmeleitfähigkeiten an der Oberfläche und in der Schicht eine gezielte Beeinflussung der Temperaturen während der Zerspanung. Das erlaubt die Einstellung eines gezielten Wärmetransfers in Span, Werkstück und Werkzeug während der Fertigung, so dass Zerspanprozesse hinsichtlich geringerer thermischer Belastung bei vergleichbarem Verschleiß verbessert werden können. Das führt im Vergleich zu am Markt verfügbaren beschichteten Werkzeugen zu einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit im Bearbeitungsprozess. Darüber hinaus ergibt sich durch den erfolgreichen Nachweis der Reduzierung der thermischen Belastung sowie der Einsetzbarkeit beim Zerspanen eine projekt- und anwendungsübergreifende Wirkung der entwickelten thermisch anisotropen Schichten. Diese erlaubt es, die Technologie auch auf weiteren Feldern der Zerspanung, beispielsweise der Trockenzerspanung, bei reduziertem KSS-Einsatz oder auch weiteren Prozessen mit hoher thermischer Belastung, zum Beispiel Fräsen von Nickelbasislegierungen einzusetzen. Das Vorhabensergebnis trägt dazu bei, das Knowhow auf den speziellen Gebieten der Schichtabscheidung und insbesondere der Erzeugung anisotroper Schichteigenschaften, der Charakterisierung dünner Hartstoffschichten sowie der Zerspanungstechnologie zu erhöhen.
Die GFE Schmalkalden e.V. kann die entwickelten anisotropen Schichtsysteme entsprechend der Kundenanforderungen als Dienstleistungen im Beschichtungszentrum der GFE (Lohnbeschichtung) aufbringen, die Schichten im eigenen Versuchsfeld zur Reduktion der thermischen Belastung nutzen sowie ebenso entsprechende modifizierte weiterentwickelte Applikationen realisieren und so die wissenschaftliche und wirtschaftliche Kompetenz steigern.
Ebenso wird der erarbeitete Temperaturmessplatz in den weiteren Entwicklungsaufgaben der GFE im Bereich Beschichtung eine Rolle spielen, um insbesondere das thermische Verhalten verschiedener Schichten ohne aufwändige Einsatztests zu charakterisieren. Die GFE als gemeinnützige Forschungseinrichtung kann die klein- und mittelständischen Unternehmen insbesondere aus der Werkzeugindustrie kompetent bei den notwendigen Entwicklungen und Umsetzungen unterstützen, so dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt stabilisieren beziehungsweise auch ausbauen können.